Die Grundsteuer B (auf Bauland und bebautes Land) wird heute auf Basis von Einheitswerten erhoben, die auf die Jahre 1964 (West) und 1935 (Ost) zurückgehen. Niveau und Struktur der Werte sind damit gegenüber den heutigen, tatsächlichen Werten so sehr veraltet und verzerrt, dass sie schließlich das Bundesverfassungsgericht im April 2018 für nicht mehr vereinbar mit dem Grundgesetz erklärt hat (Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz: Grundgesetz Art. 3 Abs. 1). Auch weitere Inhalte des Grundsteuergesetzes gelten als überholt. Eine zeitnahe Reform der Grundsteuer stand also an. Bereits lange vor dem (in dieser Form erwarteten) Urteil des Bundesverfassungsgerichts untersuchten die Finanzministerien der Länder mehrere Reformoptionen, zuletzt drei Modellvarianten: Eine Grundsteuer „auf der Basis von Verkehrswerten“, ermittelt anhand statistischer Verfahren; eine „vereinfachte“ Grundsteuer, welche Vermögenswerte völlig ausklammern und nur noch Flächengrößen besteuern würde; schließlich eine mögliche Kombination aus den beiden vorgenannten Modellen. Doch weil sie sich auf keines dieser Modelle einigen konnten, erarbeiteten die Ministerien ein weiteres Modell auf der Basis pauschalisierter Herstellungskosten (sog. „Kostenwert“-Modell), worauf sich die Länderfinanzminister im Juni 2016 mehrheitlich (gegen die Stimmen von Bayern und Hamburg) verständigten. Eine entsprechende Gesetzesinitiative fand im November 2016 zwar eine Mehrheit im Bundesrat, nicht aber im Bundestag. Im November 2018 präsentierte Bundesfinanzminister Olaf Scholz ein wiederum neues, „wertabhängiges Modell“. Im Februar 2019 kündigten die Finanzminister von Bund und Länder an, die Eckpunkte eines „wertabhängigen Modells“ benannt zu haben. Im Juni 2019 brachte die Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD das darauf basierende Gesetzespaket in den Bundestag ein, welcher es im Oktober 2019 beschlossen hat, gefolgt von der Zustimmung des Bundesrates im November 2019. Damit ist die Grundsteuerreform auf Bundesebene abgeschlossen. Bestandteil der Reform ist eine Änderung des Grundgesetzes, welche die Bundesländer dazu ermächtigt, eine vom Bundesgesetz abweichende, landeseigene Regelung zu treffen. Mehr dazu unter AKTUELLES »
Alle erwähnten Modelle sahen bzw. sehen wie bisher die Besteuerung sowohl von Grund und Boden als auch der aufstehenden Gebäude vor („verbundene Bemessungsgrundlage“). Dies halten wir für nicht mehr zeitgemäß. Die Besteuerung der Gebäude entmutigt Investitionen, befördert den Landschaftsverbrauch, gefährdet den sozialen Zusammenhalt, indem sie Mieter vergleichsweise stark belastet, und ist auch noch ausgesprochen verwaltungsaufwändig. Für sinnvoller und unbedingt näher prüfenswert erachten wir eine Grundsteuer mit unverbundener, nur an Grund und Boden anknüpfender Bemessungsgrundlage. Die dazu erforderlichen Rohdaten (Bodenrichtwerte und Grundstücksgrößen) liegen praktisch flächendeckend vor und könnten zeitnah und mit wenig Aufwand miteinander verknüpft werden.
Im Einzelnen sprechen – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der langfristigen Herausforderungen Klimaschutz, demografischer Wandel, Wohnraumversorgung sowie Sicherung von Lebensqualität und kommunalen Finanzen – folgende Gründe für eine Grundsteuer mit unverbundener, nur an Grund und Boden anknüpfende Bemessungsgrundlage:
- Der Gebäudebestand ist größtenteils überaltert, sowohl energetisch als auch mit Blick auf den demographischen Wandel und veränderte Nutzerbedürfnisse. Bauten aller Art und allen Alters bedürfen innerhalb ihres Lebenszyklus wiederkehrender Erneuerung. Das spart Ressourcen, bewahrt und erhöht die Zukunftsfähigkeit der Gebäude und schafft und sichert Arbeitsplätze im örtlichen Handwerk.
- Knappe Flächen müssen effizient genutzt werden. Baulücken, Industriebrachen u.ä. sollen aktiviert und bevorzugt (wieder) bebaut, leerstehende Gebäude wieder belebt werden. Land, das erschlossen und bebaubar ist, soll auch tatsächlich so wie von der Gemeinde geplant genutzt werden. Zusätzliche Wohnungen sollen bevorzugt zentrennah entstehen. Das alles stärkt die Ortskerne, bewahrt Natur und Landschaft vor weiterer unnötiger Zersiedlung, lastet die vorhandene Infrastruktur besser aus und schont die kommunalen Haushalte.
- Beides, die periodisch erforderlichen Bestandsinvestitionen wie die effiziente Flächennutzung, sind Daueraufgaben und müssen für Eigentümer attraktiver werden. Eine Grundsteuer ohne Besteuerung der aufstehenden Gebäude würde zu Investitionen ermuntern. Bereits eine entsprechend ausgestaltete, wie derzeit angestrebt aufkommensneutrale Grundsteuerreform würde in diese Richtung wirken. Demgegenüber würde eine Grundsteuer, die auch das Gebäude besteuert, Investitionen regelrecht bestrafen und staatlichen finanziellen Anreizen bspw. zur energetischen Modernisierung zuwiderlaufen.
- Eine unverbundene, nur an Grund und Boden als Bemessungsgrundlage anknüpfende Grundsteuer besteuert die Bodenrente der Grundeigentümer. Das ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Die Bodenrente entsteht zu großen Teilen erst aufgrund von Investitionen der öffentlichen Hand und somit der Allgemeinheit. Durch die Kopplung von Kosten und Nutzen beachtet eine bodenwertbezogene Grundsteuer somit das Äquivalenzprinzip. Außerdem berücksichtigt sie in idealer Weise den Grundsatz der Sozialpflichtigkeit des Eigentums sowie den allgemeinen Gleichheitssatz und die daraus abgeleiteten, steuerrechtlichen Verfassungsmaßstäbe Realitätsgerechtigkeit, Folgerichtigkeit und Leistungsfähigkeit (Leistungskraft) und stärkt im Marktgeschehen die Position der Mieter gegenüber den Vermietern.
- Der Verwaltungsaufwand zur Ermittlung und Erhebung der Grundsteuer muss sich in einem vertretbaren Rahmen halten. Jede Form der Gebäudebesteuerung, sei sie flächen- oder wertebasiert, erhöht den Aufwand (auch die Streitanfälligkeit) gegenüber einer rein bodenbasierten Besteuerung um ein Vielfaches. Ein Nebenziel der Grundsteuerreform – Verwaltungsvereinfachung – würde dadurch konterkariert.
Infoblatt Bodenwertsteuer
Auf zwei Seiten stellen wir die Vorzüge der Bodenwertsteuer und die Hintergründe zur Grundsteuerreform knapp und verständlich dar – inkl. Kontaktdaten, Ansprechpartner und Spendeninformation.
Fachliteratur
Über die Grundsteuerreform wird seit Jahrzehnten politisch diskutiert. Ebenso ist der Vorschlag einer Bodenwertsteuer nicht neu. Nachfolgend finden Sie eine kleine Auswahl aktueller Fachpublikationen zu dieser Thematik.
Aring, Jürgen; Bunzel, Arno; Hallenberg, Bernd; zur Nedden, Martin; Pätzold, Ricarda; Rohland, Fabian (2016): Wohnungspolitik neu positionieren! Plädoyer von vhw und Difu für eine soziale und resiliente Wohnungspolitik. Berlin.
Bach, Stefan (2018): Grundsteuerreform: Aufwändige Neubewertung oder pragmatische Alternativen. DIW Aktuell
Bach, Stefan; Michelsen, Claus (2018): Grundsteuerreform: Bodenwertsteuer sinnvolle Alternative, aber Probleme im Detail. In: Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft 3/2018, S. 55–58.
Barth, Jonathan; Richters, Oliver; Siemoneit, Andreas (2018): Wider die Wohnungsnot: Besteuert den Boden! In: Blätter für deutsche und internationale Politik 11/2018, S. 17–20.
Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung e.V. (DASL): Den Boden der Europäischen Stadt (Debattenpapier des Ausschusses Bodenpolitik)
Edenhofer, Otmar; Knopf, Brigitte; Bak, Céline; Bhattacharya, Amar (2017): Aligning climate policy with finance ministers’ G20 agenda. In: Nature Climate Change 7/2017, S. 463–465.
Emunds, Bernhard; Degan, Julian (2018): Bezahlbarer Wohnraum für alle. Wirtschaftsethische Überlegungen zum Anstieg der Bodenpreise und zur Überwindung des Wohnungsmangels. In: AMOSINTERNATIONAL 3/2018, S. 16–23.
Heinemann, André W. (2018): Reform der Grundsteuer: Hintergrund und ein Lösungsansatz. In: Institut Arbeit und Wirtschaft, Universität / Arbeitnehmerkammer Bremen (Hrsg.): Regionalentwicklung und Finanzpolitik Aktuell, 1/2018.
Henger, Ralph; Schaefer, Thilo (2016): Grundlos in die falsche Richtung: Sieben Gründe gegen die geplante Grundsteuerreform. In: ifo Schnelldienst 18/2016 vom 29.09.2016, S. 20–23.
Henger, Ralph; Schaefer, Thilo (2016): Grundsteuerreform: Eine Bodensteuer wäre besser. IW-Kurzberichte 58/2016. Institut der deutschen Wirtschaft Köln.
Initiative für Natürliche Wirtschaftsordnung e.V. (2017): FAIRCONOMY Nr. 4. Wir brauchen eine Bodenwertsteuer! (darin Beiträge verschiedener Autoren).
Kriese, Ulrich (2019): Die Bodenrenten den Gemeinden – Aufruf „Grundsteuer: Zeitgemäß!“. In: Brigitta Gerber & Ulrich Kriese (Hg.), Boden behalten – Stadt gestalten, S. 401-415.
Kriese, Ulrich (2016): Die Grundsteuer als Bodensteuer ausgestalten: Ein bundesweiter Aufruf. Wohnungswirtschaft und Mietrecht, 5/2016, S. 266-271.
Kriese, Ulrich; Löhr, Dirk (2018): Grundsteuerreform in Zeiten und Räumen mit steigenden Bodenwerten: Modellanalyse, Bewertung, Empfehlungen. In: Wohnungswirtschaft und Mietrecht, 71. Jg., 6/2018, S. 321–329.
Kriese, Ulrich; Wilke, Henry (2017): Die Grundsteuer zur Bodenwertsteuer machen. Zum Verhältnis und Zusammenspiel mit der kommunalen Planung und ihren Instrumenten. In: PLANERIN 4/2017, S. 22–24.
Löhr, Dirk; Kriese, Ulrich (2019): Grundsteuer: Reform oder mutloses „Weiter so“? In: Der Gemeindehaushalt, 120. Jg., 4/2019, S. 76-81.
Löhr, Dirk (2018): Die Bodenwertsteuer – Von Mythen und Fabelwesen (Antwort auf Kritik). In: economy4mankind, 1. Januar 2018.
Löhr, Dirk (2018): Bodenwertsteuer: Das Mittel der Wahl In: FORUM, 44. Jg., Heft 1/2018, S. 8–17. (Zeitschrift des Bundes der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure)
Löhr, Dirk (2018): Boden – die verkannte Umverteilungsmaschine. In: Zeitschrift für Sozialökonomie, 55. Jg., 198./199. Folge.
Löhr, Dirk; Harrison, Fred (Hrsg.) (2017): Das Ende der Rentenökonomie – wie wir globale Wohlfahrt herstellen und eine nachhaltige Zukunft bauen können. Mason Gaffney gewidmet. Metropolis, Marburg.
Löhr, Dirk (2017): Grundsteuerreform. Ende einer Odyssee? In: Wirtschaftsdienst 2017/11, ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft, S. 809–816.
Marx, Franz Jürgen (2017): Grundsteuerreform: Gesetzentwurf ohne tragfähiges Fundament und mit vielen Konstruktionsmängeln. In: Deutsche Steuer-Zeitung vom 15.01.2017, Heft 1-2, S. 19–25.
Mühlleitner, Daniel (2019): Die Bodenwertsteuer als unterstützendes Instrument der Stadtplanung. In: suburban, 7. Jg., Heft 3, S. 125-134.
Siebert, Katharina (2016): Reform der Grundsteuer. Eine ökonomische Analyse aktuell diskutierter Reformmodelle. Igel Verlag RWS, Hamburg.
StadtBauwelt vom 20. März 2018: Themenheft „Die Bodenfrage“ (Heft Nr. 6/18).
Thiel, Fabian (2017): „Same same but different“: Die (nahende) Reform der Grundsteuer. In: Grundstücksmarkt und Grundstückswert 2/2017, S. 85-92.
Voigtländer, Michael (2017) Luxusgut Wohnen. Warum unsere Städte immer teurer werden und was jetzt zu tun ist. Springer-Verlag, Berlin.
Gutachten
Henger, Ralph (2018): Baulandsteuer und zoniertes Satzungsrecht. Expertengutachten im Auftrag des Umweltbundesamtes.
Hey, Johanna (2019): Stellungnahme zu dem Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Grundsteuer-Reformgesetz (BT-Drucksache 19/11085) sowie dem Antrag der FDP-Fraktion (Grundsteuer – Einfaches Flächenmodell (BT-Drucksache 19/11144)
Groth, Klaus-Martin (2018): Grundsteuerreform und soziales Mietrecht
Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (2017): Was tun gegen die Ungleichheit? Wirtschaftspolitische Vorschläge für eine reduzierte Ungleichheit. IMK Report 129 (zur Grundsteuer: S. 17f.)
Sachverständigenrat für Umweltfragen (2016): Umweltgutachten 2016. Impulse für eine integrative Umweltpolitik. Kapitel 4: Flächenverbrauch und demografischer Wandel (zur Grundsteuer: S. 277f.)
Deutscher Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung (2004): Instrumente zur Verbesserung des Baulandangebots und zur Finanzierung der Folgeinvestitionen. Bericht der Kommission zur „Verbesserung des Baulandangebots“ (zur Grundsteuer: S. 89ff.)
Groth, Klaus-Martin; v. Feldmann, Peter; Streck, Charlotte (2004): Möglichkeiten der Baulandmobilisierung durch Einführung einer bodenwertorientierten Grundsteuer (Forschungsvorhaben im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Aktualisierte Fassung des Endberichts vom März 2000)
Deutscher Bundestag (1994): Bericht der Expertenkommission Wohnungspolitik. Drucksache 13/159 (zur Grundsteuer: S. 192ff.)